Murer – Anatomie eines Prozesses

Mittwoch, 22. Mai, 18.00 und 20.30 Uhr

Österreich/Luxemburg 2018: Regie: Christian Frosch; Darsteller*innen: Karl Fischer, Alexander Fennon, Roland Jäger, Melita Jurisic; FSK: o. A.; 137 Minuten

Österreich im Jahr 1963: Franz Murer, ein angesehener Lokalpolitker und Großbauer steht vor Gericht, weil er von 1941 bis 1943 schwere Kriegsverbrechen begangen hat und als sog. Schlächter von Vilnius zahlreiche Juden in der litauischen Hauptstadt ermorden ließ. Obwohl er dort wegen Mordes verurteilt wurde, saß er nur fünf Jahre ab und wurde freigelassen – allerdings unter der Bedingung, dass der Prozess gegen ihn in Österreich wieder aufgenommen wird. Das ist aber aus sehr obskuren Gründen niemals geschehen. Doch dann entdeckt der Holocaust-Überlebende Simon Wiesenthal durch Zufall, dass Murer straffrei in der Steiermark lebt, und veranlasst, dass sich der eigentlich längst Verurteilte nun doch noch vor Gericht für seine Taten rechtfertigen muss. Doch dessen Aussagen und die zahlreicher anderer Überlebender der Shoah reichen nicht aus, um eine Verurteilung zu erwirken, weil die Politik endlich mit der Nazi-Vergangenheit abschließen will. Murer wird trotz erdrückender Beweislage freigesprochen…

In Österreich wurde das Morden von Angehörigen der Wehrmacht, Polizei und SS als Pflichterfüllung verklärt, und die beiden größten politischen Parteien in Österreich waren sich einig darin, die NS-Verbrechen nicht zu ahnden, was für die Gesellschaft auf Jahrzehnte hinaus prägend war. Am Beispiel des Prozesses gegen Franz Murer und dem politischen Umfeld des Prozesses werden im Film die Funktionsweisen der Strategien von Abwehr und Vertuschung sichtbar, die sich noch immer nicht erledigt haben.

Der Trafikant

Mittwoch, 15. Mai, 18.00 und 20.30 Uhr

Deutschland/Österreich 2018; Regie: Nikolaus Leythner; Darsteller*innen: Karoline Eichhorn, Bruno Ganz, Johannes Krisch; Prädikat: besonders wertvoll; FSK: ab 12; 114 Minuten

Wien 1937: Der siebzehnjährige Franz Huchel kommt in die Stadt, um eine Lehrstelle in einer Trafik (österreichisch für Tabak- und Zeitschriftenladen) bei einem Jugendfreund der Mutter anzutreten. Huchel ist naiv, verträumt und behütet auf dem Land aufgewachsen. Die Großstadt überfordert den Jungen. Durch die Zeitungen lernt er die Welt kennen, am Prater die Liebe, als er auf Tänzerin Anezka trifft. Doch Wien im Jahr 1937 steht kurz vor einem brutalen Umschwung.

Der Trafikant von Nikolaus Leytner ist die Verfilmung des gleichnamigen Erfolgsromans von Robert Seethaler. Ganz im Stil der literarischen Vorlage erzählt der Film schon fast lakonisch seine Geschichte. Auf geschickte Weise verknüpft er die Begegnung eines jungen Mannes mit einer berühmten Persönlichkeit vor den düsteren historischen Ereignissen. Real wirkende Spielfilmszenen wechseln immer wieder zu Traumsequenzen, die in ihrer Licht- und Farbsetzung überzeugen. Auch die Schauspieler, allen voran Simon Morzé als junger Franz, Bruno Ganz als altersweiser Sigmund Freud sowie Johannes Krisch als unbequem revolutionärer Trafikant agieren glaubwürdig. Die fast schon philosophischen Gespräche zwischen Franz und Freud lassen den Zuschauer tief in die Geschichte eintauchen, und der historische Kontext ist auch ein indirekter Appell an die heutige Zeit, ohne dabei im Vordergrund der Geschichte zu stehen. (FBW)

Menashe

Mittwoch, 8. Mai, 18.00 und 20.30 Uhr

USA 2017; Regie: Joshua Z. Weinstein; Darsteller*innen: Menashe Lustig, Yoel Weisshaus, Yoel Falkowitz, Ruben Niborski, Meyer Schwartz; FSK: ab 6; 82 Minuten; OmU

Menashe ist der erste abendfüllende Spielfilm des jungen Regisseurs Joshua Z. Weinstein. Dieser Film ist ungewöhnlich, denn es ist der erste Film in der Geschichte der Berlinale, der komplett auf Jiddisch gedreht wurde. Die Titelfigur Menashe lebt in Borough Park im New Yorker Stadtteil Brooklyn. In Borough Park befindet sich eine der größten ultraorthodoxen jüdischen Gemeinden außerhalb von Israel. Religion und Tradition prägen das Leben der knapp 120.000 streng gläubigen Juden. Obwohl ihr Viertel mitten in einer der modernsten Metropolen der Welt liegt, ist hier alles anders. Touristen wird geraten, sich nicht dorthin zu verirren – denn in diesem Viertel bleiben die Menschen lieber unter sich.

Menashe arbeitet in einem koscheren Lebensmittelgeschäft. Vor einem Jahr hat er seine Frau verloren. Deshalb darf sein zehnjähriger Sohn Rieven nicht bei ihm leben, denn das verbietet die orthodoxe Auslegung der Thora. Menashe distanziert sich zunehmend von den Bräuchen seiner Gemeinde, er trägt keinen hohen Hut oder schwarzen Mantel wie die anderen Männer. Seine Schläfenlocken klemmt er sich so hinter die Ohren, dass sie kaum noch zu sehen sind. Um seinen Sohn wiederzubekommen, lässt er sich widerwillig auf die Partnervermittlung seiner Gemeinde ein, doch letztlich weist er jede Dame schroff von sich. Nach dem Verlust seiner Frau ist er noch nicht so weit.

Regisseur Joshua Z. Weinstein ist selbst Jude, lebt den Glauben aber modern. Obwohl er selbst in New York geboren wurde, war die Gemeinde von Borough Park für ihn eine ferne Welt, zu der er keinen Zutritt hatte. Genau das war seine Inspiration für Menashe.

Die defekte Katze

Mittwoch, 1. Mai, 18.00 und 20.30 Uhr

Deutschland 2018; Regie: Susan Gordanshekan; Darsteller*innen: Pegah Ferydoni, Hadi Khanjanpour, Constantin von Jascheroff; Deutsch und Farsi; FSK ab 6; 93 Minuten

Die studierte Elektrotechnikerin Mina kommt neu nach Deutschland und soll gemäß der Tradition und dem Wunsch ihrer Eltern eine arrangierte Ehe mit einem Mann aus dem Iran eingehen. Schließlich stimmt sie einer Hochzeit mit Kian zu, der Assistenzarzt ist und in Deutschland bereits seit frühster Kindheit ein mustergültiges Leben als Immigrant führt. Doch obwohl sich Mina und Kian merklich Mühe geben und auch eine gewisse Zuneigung füreinander empfinden, merken beide schnell, dass es gar nicht so leicht ist, eine Ehe zu führen, wenn man sich überhaupt nicht kennt, und ihre Beziehung besteht aus wenig mehr als dem Austausch von Höflichkeiten. Ein weiteres Problem ist, dass Kian sich mit Minas modernen Ansichten nicht so recht arrangieren kann. Als Mina sich dann auch noch einer merkwürdigen Katze annimmt, scheint die Ehe endgültig gefährdet. Doch dann werden die Karten auf einmal neu gemischt…

Die deutsche Regisseurin, die selbst iranische Eltern hat, beobachtet ihre Hauptfiguren differenziert und genau. Sie wirft einen frischen Blick auf das Thema Paarbeziehung und Migration. Es gelingt ihr, in ihrem Spielfilmdebüt mit den erwartbaren Klischees nur zu spielen und immer wieder überraschende Wendungen für die Handlung zu finden. Die defekte Katze ist eher ein Liebes- als ein Migrationsfilm – obwohl man als Zuschauer/in ohne eigene Migrationserfahrung auch darüber eine ganze Menge lernen kann.

Die Poesie der Liebe

Mittwoch, 24. April, 18.00 und 20.30 Uhr

Frankreich/Belgien 2017; Regie: Nicolas Bedos; Darsteller*innen: Doria Tillier, Nicolas Bedos, Denis Podalydès, Antoine Gouy, Christiane Millet, Pierre Arditi; FSK: ab 12; 115 Minuten

Sarah und Victor lernen sich Anfang der Siebzigerjahre in einem Pariser Nachtclub kennen. Für Sarah ist es Liebe auf den ersten Blick, während Victor sich anfangs noch nicht zu entscheiden wagt. Bald trennen sich ihre Wege wieder und es deutet zunächst nichts darauf hin, dass sie am Ende beinahe ein halbes Jahrhundert zusammen durchs Leben gehen werden. Doch Sarahs Charme und Intelligenz kann sich der ambitionierte Victor nicht lange entziehen. Sie heiraten schließlich und gründen eine Familie.

Gemeinsam durchleben sie Jahrzehnte voller Leidenschaft, Geheimnisse, Nähe und Distanz. Victor steigt schnell zum gefeierten Schriftsteller auf, während Sarah in seinem Schatten ein scheinbar unspektakuläres Leben führt. Victors Erfolg verdankt die Familie ein sorgenfreies Leben und gesellschaftliche Anerkennung. Doch nach und nach stellt sich heraus, wer tatsächlich hinter dem raketenhaften Aufstieg des Schriftstellers Adelman stand.

Mit seinem Regiedebüt porträtiert der französische Autor und Schauspieler Nicolas Bedos eine Liebesgeschichte, die 1971 beginnt und im Jahr 2003 endet, und erzählt die Geschichte der einen großen Liebe, einer Liebe wie eine Urgewalt im Lauf der Zeit.

Camino a La Paz

Mittwoch, 17. April, 18.00 und 20.30 Uhr

Argentinien 2015; Regie & Drehbuch: Francisco Varone; Darsteller*innen: Rodrigo de la Serna, Ernesto Suarez, Elisa Carricajo, Maria Canale; FSK: ab 0; 94 Minuten; Omu

Sebastián ist Mitte 30 und treibt weitestgehend ziellos durchs Leben. Er hat ohnehin nur zwei Leidenschaften im Leben: seine Rockband Vox Dei und seinen liebevoll hergerichteten Peugeot 505. Etwas zu kurz kommt da seine Freundin Jazmín, die sich sehnlichst ein Kind wünscht. Weil die beiden in großer Armut leben, geht Sebastián eines Tages auf ein ebenso außergewöhnliches wie lukratives Jobangebot ein: Mit seinem Peugeot fährt er den greisen Jalil von Buenos Aires ins bolivianische La Paz. Von dort aus will der streng gläubige Jalil irgendwie nach Mekka kommen. Das Problem ist die lange, mehrere Tage dauernde Fahrt, da sich Jalil und sein Chauffeur nicht besonders gut verstehen. Doch Sebastián braucht das Geld und nimmt deshalb alle Ärgernisse in Kauf.

Der Titel des Regie-Debüts von Francisco Varone ist doppeldeutig. Camino a La Paz kann zum einen „Der Weg nach La Paz“ bedeuten, aber auch „Der Weg zum Frieden“. Der Film lebt vom Schwung und der Unvorhersehbarkeit, die die Beziehung der beiden Männer auszeichnet. Dem Regisseur gelingt ein kleiner und feiner Film über zwei komplexe Charaktere, die auf ihrem Trip allerlei überraschende Ereignisse erleben.

The Cakemaker

Mittwoch, 10. April, 18.00 und 20.30 Uhr

Israel/Deutschland 2017; Regie: Ofir Raul Graizer; Darsteller*innen: Tim Kalkhof, Sarah Adler, Roy Miller u. a.; FSK: o. A.; 113 Minuten

Thomas arbeitet in Berlin in einem kleinen Café. Einer seiner Stammkunden ist der Israeli Oren, der vor allem Thomas‘ Zimtkekse liebt. Bald sind die beiden ein Paar. Sie sehen sich nur einmal im Monat, denn Oren pendelt zwischen Jerusalem und Berlin und hat zuhause Familie: Der Architekt ist mit Anat verheiratet, der Sohn geht gerade in die Schule.

Nach seinem letzten Besuch reagiert Oren nicht mehr auf Thomas‘ Anrufe. Nach qualvoller Ungewissheit erfährt der: Oren ist in Jerusalem bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er reist spontan nach Jerusalem und sucht dort das Café von Orens Frau Anat auf. Er gibt sich nicht zu erkennen und Anat stellt ihn als Aushilfe ein. Schon bald beginnt er Kekse und Kuchen zu backen, die das Café zu einer Attraktion machen.

Aber der Deutsche, wie ihn viele nur nennen, provoziert auch Widerstand, vor allem von Orens Bruder Moti und von Seiten der Rabbis, die über die Einhaltung der Gebote für koscheres Essen wachen.

Ein Film über die Annäherung der Kulturen und darüber, wann etwas nicht koscher ist, aber trotzdem gut. Der Film wurde von Israel als Kandidat auf den Auslands-Oscar ausgewählt.

Manaslu – Der Berg der Seelen

Mittwoch, 3. April, 18.00 und 20.30 Uhr

Österreich 2018; Regie: Gerald Salmina; Darsteller*innen: Hans Kammerlander, Werner Herzog; Stephan Keck, Simon Gietl, Markus Schwärzer; FSK: ab 12; 123 Minuten

Hans Kammerlander ist einer der berühmtesten Extrem- bergsteiger der Welt. Er machte Expeditionen mit Reinhold Messner und fuhr als erster Mensch vom Mount Everest mit Skiern ab. 1991 erlebte er am Manaslu, dem achthöchsten Gipfel der Welt, eine Tragödie, zwei Freunde starben. Der eine stürzt aus unerklärlichen Gründen ab, den anderen trifft ein Blitzschlag tödlich.

Aus Anlass seiner Rückkehr im Jahr 2017 drehte Regisseur Gerald Salmina eine Biografie über den Südtiroler. Darin werden die Ursprünge Kammerlanders auf einem Bauernhof in Südtirol, sein Werdegang als Bergsteiger, seine größten Erfolge und seine Niederlagen erzählt. Zentral ist das Drama am Manaslu in Nepal, den er nach dem Unglück nie wiedersehen wollte. Dann aber fliegt er doch noch einmal hin, er will seinen letzten noch fehlenden Achttausender besteigen und Frieden machen mit der quälenden Vergangenheit. Als reizvoller Kontrast und echte Filmperlen erweisen sich Archivbilder und spektakulär nachgestellte dramatische Szenen im Gebirge.

Offenes Geheimnis

Mittwoch, 27. März, 18.00 und 20.30 Uhr

Spanien/Frankreich 2017; Regie: Asghar Farhadi; Darsteller*innen: Penélope Cruz, Javier Bardem, Ricardo Darín, FSK: ab 12; 133 Minuten

Laura lebt mit ihrem wohlhabenden Ehemann Alejandro und ihren beiden Kindern in Buenos Aires. Anlässlich der Hochzeit ihrer Schwester Ana reist sie in ihr spanisches Heimatdorf. Bevor Laura vor vielen Jahren nach Argentinien gegangen ist, hat sie ihrer Jugendliebe Paco ihren Anteil am Familienerbe verkauft. Dieser hat mittlerweile ein gutlaufendes Weingut auf einem einst wertlosen Stück Land errichtet, was auf Seiten von Lauras Vater Antonio zu Missgunst führt. Während der Feierlichkeiten wird dann Lauras jugendliche Tochter Irene entführt und es kommt zu einer Reihe von anderen unerwarteten Ereignissen, die zahlreiche Familiengeheimnisse an die Oberfläche spülen…

Auf Lauras Handy geht eine Lösegeldforderung ein. Rasch geraten die katalanischen Saisonarbeiter in Verdacht, die Paco zur Weinlese beschäftigt. Auch Beas Schulklasse, die die Feier gefilmt hat, könnte dahinterstecken. Aber der pensionierte Polizist, den Lauras Schwager zu Rate zieht, lenkt den Argwohn auf das unmittelbare Umfeld der Familie; zumal die Entführer um deren wirtschaftliche Situation wissen und um Geheimnisse, die beschwiegen, aber nie begraben wurden.

Styx

Mittwoch, 20. März, 18.00 und 20.30 Uhr

Deutschland/Österreich 2018; Regie: Wolfgang Fischer; Darsteller*innen: Susanne Wolf, Gedion Oduor Wekesa; FSK: 12; Prädikat: besonders wertvoll; 95 Minuten

Rike bestreitet in Köln als Notärztin ihren Alltag, bevor sie ihren Urlaub in Gibraltar antritt. Dort sticht sie alleine mit ihrem Segelboot in See. Ziel ihrer Reise ist die Atlantikinsel Ascension Island. Ihr Urlaub wird abrupt beendet, als sie sich nach einem Sturm auf hoher See in unmittelbarer Nachbarschaft eines überladenen, havarierten Fischerbootes wiederfindet. Mehrere Dutzend Menschen drohen zu ertrinken. Rike folgt zunächst der gängigen Rettungskette und fordert per Funk Unterstützung an. Als ihre Hilfsgesuche unbeantwortet bleiben, die Zeit drängt und sich eine Rettung durch Dritte als unwahrscheinlich herausstellt, wird Rike gezwungen zu handeln.

Hauptdarstellerin Susanne Wolff legt eine ungeheure darstellerische Leistung an den Tag. Ganz ohne Dialog trägt sie alleine lange Strecken des Films und macht den inneren Konflikt der Figur mit beeindruckender Mimik und ihrer Haltung deutlich. Der Film selbst wertet nicht und lässt genügend Zeit, kritisch zu hinterfragen, wie man selbst gehandelt hätte. Und obwohl die dargestellte Situation fiktiv ist, so erzählt Fischer sie doch so authentisch und nah, dass sie sich absolut realistisch vermittelt. Am Ende des Films trifft Rike eine Entscheidung – und ein letzter Blick in ihr Gesicht verrät eine Erschütterung, die ihr Leben für immer verändert.