Titane

Dienstag, 22. Februar, 18.00 und 20.00 Uhr

Frankreich 2021; Regie: Julia Ducournau; Darsteller*innen: Agathe Rousselle, Vincent Lindon, Garance Marillier, Lais Salameh, Mara Cisse, Marin Judas; FSK: ab 16; 108 Minuten

Der diesjährige Cannes-Gewinner sprengt so ziemlich alle Kategorien. Ist es ein Genrefilm? Ist es abgehobenes Kunstkino? Geht es mehr um Serienmord, um Maschinenliebe oder einen verlorenen und wiedergefundenen Sohn? In jedem Fall ist der Film eine Erfahrung.

Nach einem Autounfall bekommt Alexia als Kind bei einer Operation am offenen Gehirn eine Titanplatte eingesetzt. Das Mädchen trägt nun eine auffällige Narbe über dem rechten Ohr, und es fühlt sich zu anderen metallischen Wesen hingezogen. Einige Jahre später scheint Alexia ihr Fetischverhältnis zu Maschinen über den Beruf als Tänzerin bei Autoshows auszuleben. Doch sie ist auch eine eiskalte Killerin: Als ein Fan zudringlich wird, tötet sie ihn – nur der erste von mehreren, zunehmend extremen Morden. Außerdem hat sie Sex mit einem Auto, in einem Geschlechtsakt von comichafter Irrealität, der gleichwohl zu einer Schwangerschaft führt. Alexia, die Killerin, ist ein verlorenes Wesen.

Dieses Motiv führt der zweite Teil des Films weiter, der zugleich andere Akzente setzt: Alexia verwandelt sich. Auf der Flucht vor der Polizei gestaltet sie sich radikal um – unter anderem indem sie sich selbst die Nase bricht. Sie wird zu Adrien, dem vor Jahren verschwundenen Sohn des Feuerwehr-Kommandanten Vincent, und tritt in dessen Welt ein, eine Feuerwache als eingeschworene Gemeinschaft, fast eine Sekte, in der Vincent Gott ist. Und Gott duldet keine Diskussionen darüber, ob dieser zugelaufene Typ wirklich sein Sohn ist.

Titane zelebriert mit seinen wuchtigen Bildern und seinem bisweilen sakralen Soundtrack die Verschmelzung des Unvereinbaren, von Mensch und Maschine, Muttermilch und Motoröl, Gewalt und Zärtlichkeit, Vaterliebe und erotischer Liebe. Ein Film, den man zulässt oder zutiefst ablehnt: radikal, monströs, brutal und herausfordernd, dabei aber auch seltsam zärtlich und von eigenartigem Humor. Und so frei wie nur Weniges, was das Kino derzeit zu bieten hat.

Lieber Thomas

Dienstag, 15. Februar, 18.00 und 20.00 Uhr

Deutschland 2021; Regie: Andreas Kleinert; Darsteller*innen: Albrecht Schuch, Jella Haase, Ioana Iacob, Jörg Schüttauf, Anja Schneider, Marlen Ulonska; Prädikat: besonders wertvoll; FSK: ab 16; 150 Minuten

Die DDR ist noch jung, aber Thomas Brasch passt schon nicht mehr rein. Es ist vor allem sein Vater Horst, der den neuen deutschen Staat mit aufbauen will. Doch Thomas, der älteste Sohn, will lieber Schriftsteller werden. Thomas ist ein Träumer, ein Besessener und ein Rebell. Schon sein erstes Stück wird verboten, und bald fliegt er auch von der Filmhochschule. Als 1968 die sowjetischen Panzer durch Prag rollen, protestiert Brasch mit Freundin Sanda und anderen Studenten mit einer Flugblattaktion in den Straßen Berlins und rennt damit vor die Wand. Sein eigener Vater verrät ihn, und Thomas Brasch kommt ins Gefängnis. Auf Bewährung entlassen, arbeitet Brasch in einer Fabrik und schreibt über die Liebe, die Revolte und den Tod. Aber mit einem wie ihm kann man in der DDR nichts anfangen. Ohne Aussicht gehört zu werden verlässt Thomas mit der Frau, die er liebt, die Heimat. Im Westen wird er anfangs bejubelt, dreht mehrere Kinofilme, wird zweimal nach Cannes eingeladen. Doch Brasch lässt sich nicht vereinnahmen. Auch nach dem Mauerfall, zurück in Ost-Berlin, ist er weit davon entfernt Ruhe zu geben.

Das Biopic erzählt die Geschichte des Schriftstellers und Künstlers Thomas Brasch, der in den 1970er Jahren den Zwängen der DDR durch den Aufbruch in den Westen entflieht, jedoch auch dort keine Erfüllung findet. Die ausdrucksstarke Bildsprache und das phänomenale Ensemble mit einem wie entfesselt aufspielenden Albrecht Schuch in der Titelrolle machen diese Künstlerbiografie zu einem filmischen Glanzstück.

Die Rüden

Dienstag, 8. Februar, 18.00 und 20.00 Uhr

Deutschland 2020; Regie: Conny Walter; Darsteller*innen: Matthis Landwehr, Sabine Winterfeld, Nadine
Matthews, Christopher Köberlein; FSK: ab 12; 107 Minuten

Der Film führt ins Herz einer Finsternis, die heute mit toxischer Maskulinität umschrieben wird. In einer Arena aus dunklem, vernarbtem Beton treffen vier junge Gewaltstraftäter auf drei bedrohliche, maulkorbtragende Hunde, mit denen nicht zu spaßen ist. Testosteron pur also, wäre da nicht Lu, die angstfreie, hochkonzentrierte Hundetrainerin. Lu siedelt ihr riskantes und von den Autoritäten misstrauisch überwachtes Projekt jenseits der Fragen nach Täter und Opfer, Schuld und Sühne an. So wird sie zur Provokation und ihr Ansatz zum Sprengsatz für ein System, das noch immer glaubt, man könne Gut und Böse wirklich auseinander sortieren. Deshalb ist der Film eine so eindrückliche wie verstörende Reise zum Mittelpunkt der Menschlichkeit.

Anlässlich der Woche für Demokratie und Toleranz zeigt Cinema Paradiso den Film in Kooperation mit dem DGB Kreisverband Heidelberg Rhein-Neckar und dem städtischen Kinder- und Jugendreferat Sinsheim. Die Filmemacherin Conny Walther und die Schauspielerin Sabine Winterfeld werden bei den Filmvorführungen anwesend sein.

Last Night in Soho

Dienstag, 1. Februar, 18.00 und 20.00 Uhr

Großbritannien 2021; Regie: Edgar Wright; Darsteller*innen: Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Diana Rigg, Matt Smith, Terence Stamp; Prädikat: besonders wertvoll; FSK: ab 16; 116 Minuten

Als die Modestudentin Eloise nach London zieht, ist sie entschlossen, die Inspirationen der pulsierenden Metropole in sich aufzusaugen. Doch dann wird der Traum der Großstadt zum Albtraum. Denn Nacht für Nacht begegnet sie im Schlaf einer jungen Frau, die in den Swinging Sixties erkennen muss, dass nicht alles, was glitzert, auch Gold ist. Mit ästhetischer Genre-Raffinesse, einem großartigen Soundtrack und einem starken Ensemble gelingt Edgar Wright ein hochspannendes, atmosphärisches Meisterstück.

Ob Genres, Zeiten, Realitäten oder Identitäten – in seinem neuen Film vermischen Regisseur Edgar Wright und seine Co-Autorin Krysty Wilson-Cairns aufs Überzeugendste verschiedenste Ebenen und spielen gekonnt mit der Erwartungshaltung des Publikums. Und bis zu dem ungemein packenden Showdown behält der Film immer noch eine überraschende Wendung in der Hinterhand. Als Thriller, der mit Horrorfilmelementen arbeitet, legt der Film von Beginn an wichtige erzählerische Spuren, denen man mit Spannung und Neugier folgt. Die eindrucksvolle Kameraarbeit von Chung-hoon Chung und eine bis zum kleinsten symbolisch aufgeladenen Bild durchdachte Licht- und Farbdramaturgie lassen sowohl das London von heute als auch das London der legendären Swinging Sixties auf mitreißende Weise strahlen und wirken – und machen die Stadt und ihre Geschichte damit zu einer der Protagonist*innen. Darstellerisch glänzt das Ensemble durch alle Haupt- und Nebenrollen. Ob Diana Rigg als mysteriöse Vermieterin, Matt Smith als eiskalter Manager oder Terence Stamp als undurchsichtiger „Berater“ – alle spielen mit größtmöglicher Ambivalenz und Charisma. Und Thomasin McKenzie, die Eloise mit unverbrauchter und einnehmender Natürlichkeit verkörpert, trägt den Film ebenso wie Anya Taylor-Joy, die mit ihrem unverwechselbaren katzenhaften Look als Nachtclub-Sängerin die Geheimnisse und den Zauber einer längst vergangenen Starkultur in sich vereint. Typisch für Edgar Wright ist der überragend zusammengestellte Soundtrack, der die Swinging Sixties zum Leben erweckt. Und fern von allen popkulturellen und filmischen Bezügen erzählt der Film zusätzlich auch die hochaktuelle Geschichte von Frauen im Showgeschäft, die durch einen etablierten Sexismus als Objekte gesehen werden. (FBW)

Frosch im Schnabel

Dienstag, 25. Januar, 18.00 und 20.00 Uhr

Deutschland 2020; Regie: Stefan Hillebrand; Dokumentation; Darsteller*innen: Ilka Sobottke, Anne Ressel uva.; 88 Minuten

Obdachlose gibt es in Mannheim ebenso wie anderswo in Deutschland. Doch hier wird für vier Wochen im Januar Widerstand geleistet gegen Ignoranz und Gleichgültigkeit. 500 notleidende Menschen erhalten hier täglich warme Menüs mit mehreren Gängen, gratis Friseurtermine, werden beraten und unterstützt.

Veranstalter dieses Projekts ist Mannheims Vesperkirche, die mit Ehrenamtlichen Unterstützung leistet und mit zwei Pfarrerinnen auch politisch Position bezieht, um vielleicht ein paar Menschen vor einem Leben auf der Straße oder im Gefängnis zu bewahren. Auf persönliche Weise gibt Hillebrands Dokumentation Einblicke in die Leben der Helfer und der Obdachlosen, Kranken, Arbeitslosen, Geflüchteten.
Ein sensibler Dokumentarfilm, der aufrüttelt und berührt.

Das Land meines Vaters (Au nom de la terre)

Dienstag, 18. Januar, 18.00 und 20.00 Uhr

Frankreich/Belgien 2019; Regie: Edouard Bergeon; Darsteller*innen: Guillaume Canet, Veerle Baetens, Anthony Bajon; FSK: ab 12; 103 Minuten

Die wahre Geschichte einer Familie auf dem französischen Land – konsequent ehrlich, berührend und wahrhaftig. Pierre ist entschlossen, den Hof seines Vaters, den er übernommen hat, ertragreich zu bewirtschaften. Doch im Laufe der Jahre müssen er und seine Familie feststellen, dass ihnen, trotz des großen Engagements, immer größere Steine in den Weg gelegt werden.

Das französische Drama erzählt eine Geschichte, die man im Kino nicht oft sieht und die von hochaktueller gesellschaftlicher Relevanz ist. Fern von geschönten romantischen Darstellungen zeigt der Film den Kampf einer Familie auf dem Land gegen EU-Auflagen und Preisdumping für landwirtschaftliche Rohstoffe.

Doch trotz seiner realistischen Erzählhaltung ist Das Land meines Vaters auch eine Liebeserklärung an die Menschen, die als Familie zusammenhalten und alles tun, um den Traum vom eigenen Hof aufrechtzuerhalten. Darstellerisch gelingt es dem gesamten Ensemble die Figuren wahrhaftig und authentisch zu spielen. Als Zuschauer*in ist man immer sehr nah bei den Figuren.

Die Kamera von Eric Dumont schafft dazu große Kinobilder von wunderschönen Landschaften. Große Bilder, die immer kraftvoll, aber nie kitschig wirken.

Helden der Wahrscheinlichkeit

Dienstag, 11. Januar, 18.00 und 20.00 Uhr

Dänemark 2020; Regie: Anders Thomas Jensen; Darsteller*innen: Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas, Andrea Heick Gadeberg; FSK: ab 16; 117 Minuten

Trauerarbeit ist eine einsame Angelegenheit. Entsprechend möchte der gerade heimgekehrte Offizier Markus einfach seine Ruhe haben. Er will möglichst wenig weinen, sich um seine Teenagertochter Mathilde kümmern und den Verlust seiner Frau mit viel Bier herunterspülen. Doch diese Rechnung hat er ohne die drei Unglücksvögel gemacht, die vor seiner Tür auftauchen. Der Mathematiker Otto, sein nervöser Kollege Lennart und der exzentrische Hacker Emmenthaler sind sichtlich vom Leben gebeutelt. Allerdings haben sie einen Weg gefunden dem Schicksal das Handwerk zu legen: Sie können rechnen. Und ihren Berechnungen zufolge starb Markus‘ Frau nicht zufällig.

Tatsächlich hat das schräge Trio Indizien, die stutzig machen. Aus zahllosen Details knüpfen sie eine zwingende Beweiskette, an deren Ursprung eine Bande namens Riders of Justice steht. Egal wie unwahrscheinlich ihre Theorie klingt – sie weckt erfolgreich den Rachedurst des emotional sonst sparsamen Familienvaters. Otto, Lennart und Emmenthaler tarnen sich vor allem für die ahnungslose Mathilde als Trauertherapeuten, üben fleißig den Umgang mit automatischen Waffen und freuen sich auf den Bananenkuchen, wenn das Unrecht erstmal aus der Welt geschafft ist. Denn gemeinsam planen sie nichts weniger als einen Schlag gegen das organisierte Verbrechen – und genießen den Trost einer unerwarteten Gemeinschaft. Doch ganz so einfach gehen Selbstjustiz und Sinnsuche eben nicht zusammen. Schon bald nämlich fällt den Riders of Justice auf, dass ihnen jemand auf der Spur ist.